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Interview and article Produced by Badische Anilin & Soda-Fabrik AG

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Mit Pinsel und Palette...
das Aquarell von Paul Klee, wovon ich zufällig eine Reproduktion zur Hand habe. Es stammt aus dem Jahre 1929 und ist betitelt „Luft-Jagdscene". Hier wird ganz deutlich, wie sehr die gesamte Bildkomposition von einem farbigen Mittelpunkt zusammengehalten werden kann.
In Münchens Künstlerviertel wohnt der Maler Oswald Malura. Ich steige die Treppen zu seinem Atelier hinauf wo man einen reizvollen Ausblick über die Dächer Schwabings hat.

Zuerst erzählt mir der Künstler einiges über die Gesetzmäßigkeit der Farben in der Malerei, und auch er erwähnt Goethe, in dessen Farbenlehre sich wertvolle Beobachtungen und wichtige Gedanken zur Ästhetik der Farben finden. Dann meint Oswald Malura: Vielleicht bekommen wir einige Hinweise, wenn wir zunächst von der modernen Richtung absehen und einem Malerzuschauen, der seine Staffelei inmitten der Landschaft aufgestellt hat - wie zu Zeiten eines Corot und Cezanne. Ein Anfänger versucht nur, ein Abbild der Natur zu malen. Je nach Kraft seiner Beobachtungen und Empfindungen gelingt ihm ein mehr oder weniger getreues Abbild. Noch macht er sich keine Gedanken darüber, was es mit dem Gesetz der Bildkomposition und der farbigen Wirkung auf sich hat; er malt einfach, was sein Auge sieht. Anders verhält es sich mit dem Werk eines reifen Malers. Das beginnt schon bei der Auswahl des Sujets, wie es ins Bild gesetzt wird - der Maler versteht darunter die Komposition. Auch das Vorgehen mit der Farbe ist anders. Wo der Anfänger nur abmalt, setzt der Künstler seine Farben bewußt zu einem einheitlichen Ganzen? Ja, der Künstler bestimmt die Farbigkeit des Bildes, er steigert oder dämpft die Töne, bis er am Schluß den Akzent setzt.

Ein Beispiel dafür: Das kleine Bild Corots „Die Brücke" in einer Münchner Sammlung. Das Ganze ist in einen ockergelblichen Grauwert getaucht. Nur eine Frau, die über die Brücke geht, hat eine blaue Schürze. Ohne diesen Akzent wäre das Bild unvollkommen und langweilig. Dieser Blauwert ist die Entsprechung im Bild und übt eine Funktion aus, die dem Kontrapunkt in der Musik ähnlich ist. Oder hier, das Aquarell von Paul Klee, wovon ich zufällig eine Reproduction zur Hand habe. Es stammt aus dem jahr 1929 und ist betitelt "Luftjagdscene". Hier wird ganz deutlich, wie sehr die gesamte Bildkomposition von einem farbigen Mittelpunkt zusammengehalten werden kann.

Was Rembrandt in unnachahmlicher Meisterschaft an Transparenz und Verdichtung der Farbe schon Jahrhunderte vorher gelungen war, erleben wir bei Paul Cezanne in einer uns verständlicheren Form wieder. In seiner Maierei finden wir wie bei keinem anderen Meister dieser Epoche einen Aufbau der Farben, wie ihn nur ein Wissender zuwege bringt, der das Gesetz der Farbe kennt. Nichts ist dem Zufall überlassen, Fläche an Fläche ist organisch gesetzt wie Stein auf Stein bei einer Mauer. Mit geradezu mathematischer Genauigkeit sind die Farbwerte abgestuft. In Cezannes Werk sind bereits Ansätze spürbar, was sich dann durch Picasso und Braque im Kubismus realisiert. Etwas Neues beginnt in der Malerei wirksam zu werden, Andere, bisher nicht gekannte farbige Erlebnis- und Empfindungswerte gelangen an die Oberfläche, formieren sich und durchbrechen alte gewohnte Bildregeln. Als Cezanne stirbt, ist bereits das erste Bild frei vom Gegenstand geboren. Und nun geht es Schlag auf Schlag: Alle Brücken zur Vergangenheit werden abgebrochen. Ein rasender Wandel i der Malerei bahnt sich an. Kan-dinsky mit seinem „Blauen Reiter", Marc, Macke und Klee stürmen nach vorn. Ungehemmt darf sich die Farbe in ihrer ganzen Kraft entfalten. „Weg vom Abbild, die Malerei um ihrer selbst willen!" heißt Jetzt die Losung. 1913 schreibt der französische Maler Delaunay: „Die Farbe ist Form und Sujet. Sie allein ist das Thema, das sich entwickelt, sich verwandelt außerhalb jeder Analyse - sei sie psychologisch oder anderswie. Die Farbe ist Selbstfunktion, ihre Aktivität ist in jedem Augenblick wirksam, in jeder Entwicklung."


Bitte korrigieren Sie mich, wenn folgende Bemerkung nicht richtig ist:
Ging die Faszination einer Farbe mitunter nicht sogar so weit, daß Künstler zeitweise ihre Werke völlig auf diesen einen Ton abstimmten? Sie nannten vorhin Picasso . . .


Ganz richtig! Bei Picasso spricht man von einer blauen und einer rosa Periode. Die blaue Periode bestimmte sein Schaffen etwa um 1901, in der Bilder entstanden wie „Die Büglerin" und „Der Absinthtrinker"; und die rosa Periode mit Themen aus der Welt des Zirkus datiert etwa ab 1905. Wie war es bei den alten Meistern? Auch bei ihnen unterscheiden wir Epochen, die durch bestimmte Farbzusammenstellungen gekennzeichnet sind. Nehmen wir nur z. B. die Veroneser mit ihren warmen Goldtönen. Dann gab es ein Tizianrot, ein van-Dyck-Braun, das Braun Rem-brandts. Jeder Maler entwickelte seine ganz bestimmten Farbtöne. Die Farben selbst rieben sie nach ihren eigenen Rezepten an und hielten diese Zubereitungen meist vor ihren Kollegen geheim. Welches waren die ältesten Farben in der Malerei?


Ich glaube, da müssen wir schon einige Zehntausend Jahre zurückgehen. Als man die Höhlenmalereien aus der letzten Eiszeit entdeckte, fand man auch steinerne Reibschalen mit Erdfarbe. Es waren in erster Linie roter Ocker, schwarze Mangan-erde, Rötel und Eisenoxyde.
Sagen Sie bitte, Herr Malura, wie bringt der Künstler beim gegenstandslosen Bild dieses geheimnisvolle Zusammenwirken der Farben zustande, das den Betrachter bewegt und erregt?

Wenn ich auf der Leinwand ein einziges Blau habe, wird es mich, wenn es ein besonders schönes Blau ist, zwar ansprechen, aber auf die Dauer nicht befriedigen. Ich sehe mich gezwungen, verschiedene Abwandlungen dieser blauen Fläche vorzunehmen, indem ich die Blauwerte mit Rot oder Grün breche. Jetzt beginnt die Fläche zu leben, aber ich bin noch immer nicht zufrieden. Erst wenn ich den Gegenwert Orange in dieses Blau hineinbringe, stellt sich die Befriedigung ein. Das Blau hat seine Entsprechung, Und so fordert jede Farbe den ihr entsprechenden Gegenwert heraus, vorher tritt keine Beruhigung ein. Freilich, damit allein ist es nicht getan. Es kommt auf das Wie an. Es ist nicht gleich, was für ein Orange ich wähle - es muß das Orange sein, das diesem Blau im Bild gesetzmäßig entspricht.

Am Abend, als ich das, was ich gehört habe, zu Papier bringe, fällt mir auf, daß auch der Maler am Anfang des Gespräches Goethe erwähnte. Ich schlage nach und erfahre, daß Goethe über 40 Jahre an seiner Farbenlehre gearbeitet hat und sie höher einschätzte als alle seine literarischen Werke.

Er selbst sagte zu Eckermann: „Auf alles, was ich als Poet geleistet habe, bilde ich mir gar nichts ein. Es haben treffliche Dichter mit mir gelebt, es lebten noch trefflichere vor mir, und es werden immer ihrer nach mir sein. Daß ich aber in meinem Jahrhundert in der schwierigen Wissenschaft der Farbenlehre der einzige bin, der das Rechte weiß, darauf tue ich mir etwas zugute, und ich habe daher ein Bewußtsein der Superiorität über viele."